Umformtechnik – Grundlagen, Verfahren und Anwendungen in der modernen Industrie

Einleitung

Die Umformtechnik ist eine der zentralen Säulen der modernen Fertigungstechnik. Sie ermöglicht es, Werkstoffe dauerhaft in eine gewünschte Form zu bringen, ohne Material zu entfernen oder hinzuzufügen. Dadurch wird eine effiziente und ressourcenschonende Herstellung von Bauteilen ermöglicht, die in nahezu allen Industriezweigen – von der Automobilindustrie bis zur Medizintechnik – Anwendung finden.

Dieser Artikel bietet einen tiefgehenden Überblick über die Grundlagen, Verfahren, Werkstoffe, Maschinen und Anwendungen der Umformtechnik. Außerdem werden aktuelle Trends, Innovationen und Zukunftsperspektiven beleuchtet, die diesen Bereich in den kommenden Jahren prägen werden.


1. Was ist Umformtechnik?

Unter Umformtechnik versteht man alle Fertigungsverfahren, bei denen der Werkstoff durch plastische Verformung seine Form ändert, während das Volumen weitgehend konstant bleibt. Das bedeutet, dass das Material nicht abgetragen (wie bei der Zerspanung) oder aufgetragen (wie beim 3D-Druck) wird.

Ziel ist es, durch gezielte Krafteinwirkung eine dauerhafte Formänderung zu erreichen, ohne dass der Werkstoff beschädigt wird. Dazu wird die sogenannte Fließgrenze des Materials überschritten, sodass sich Atome innerhalb des Kristallgitters verschieben können.

Die Umformtechnik ist damit ein zentraler Bestandteil der Fertigungstechnik und bildet zusammen mit der Urformung, Trennung, Fügetechnik und Beschichtung eine der Hauptgruppen nach DIN 8580.


2. Historische Entwicklung der Umformtechnik

Die Wurzeln der Umformtechnik reichen weit zurück. Bereits in der Bronze- und Eisenzeit wurden Metalle durch Schmieden bearbeitet. Schmiede waren die ersten Handwerker, die die plastische Formbarkeit von Metallen gezielt nutzten.

Mit der industriellen Revolution begann die Mechanisierung der Umformprozesse. Dampfhammer, Walzwerke und Pressen ersetzten zunehmend die manuelle Arbeit. Im 20. Jahrhundert führten Fortschritte in Werkstoffkunde, Maschinenbau und Automatisierung zu einem enormen Entwicklungsschub.

Heute ist die Umformtechnik hochgradig digitalisiert. Moderne Pressen und Werkzeuge werden durch Computer-Aided Design (CAD), Computer-Aided Manufacturing (CAM) und Finite-Elemente-Analysen (FEA) optimiert.


3. Grundlagen der Umformtechnik

Die Umformung erfolgt durch plastische Verformung, bei der die elastische Grenze des Materials überschritten wird. Wichtige physikalische Grundlagen sind:

  • Spannung und Dehnung: Sie beschreiben die Belastung und Formänderung des Werkstoffs.
  • Fließspannung: Der Spannungswert, bei dem das Material dauerhaft zu fließen beginnt.
  • Werkstoffhärte: Beeinflusst die Umformbarkeit eines Werkstoffs.
  • Reibung und Temperatur: Spielen bei der Prozessgestaltung eine entscheidende Rolle.

Je nach Temperatur unterscheidet man zwischen Kaltumformung, Halbwarmumformung und Warmumformung.


4. Einteilung der Umformverfahren

Nach DIN 8582 werden die Umformverfahren in sechs Hauptgruppen eingeteilt:

  1. Druckumformen – z. B. Schmieden, Walzen, Pressen
  2. Zugdruckumformen – z. B. Tiefziehen
  3. Zugumformen – z. B. Streckziehen
  4. Biegeumformen – z. B. Biegen von Blechen oder Rohren
  5. Scherumformen – z. B. Drücken
  6. Torsionsumformen – z. B. Verdrehen von Drähten

Jede dieser Kategorien umfasst zahlreiche spezialisierte Verfahren, die je nach Werkstoff und Bauteilgeometrie eingesetzt werden.


5. Wichtige Verfahren der Umformtechnik

5.1 Schmieden

Beim Schmieden wird das Material durch Druck und Schlagkräfte plastisch verformt. Es gibt:

  • Freiformschmieden (manuell oder maschinell)
  • Gesenk- bzw. Präzisionsschmieden (mit Werkzeugform)

Schmiedeteile zeichnen sich durch hohe Festigkeit und Zähigkeit aus – ideal für Kurbelwellen, Zahnräder oder Achsen.


5.2 Walzen

Walzen ist ein kontinuierliches Umformverfahren, bei dem der Werkstoff zwischen rotierenden Walzen hindurchgeführt wird.
Typische Anwendungen:

  • Herstellung von Blechen, Bändern, Stäben und Profilen
  • Warm- und Kaltwalzen für Metalle
  • Profilwalzen im Maschinenbau

5.3 Tiefziehen

Das Tiefziehen gehört zu den wichtigsten Verfahren der Blechumformung. Dabei wird ein Blech in eine Matrize gezogen, sodass sich eine Hohlform bildet (z. B. Dosen, Behälter, Karosserieteile).

Vorteile:

  • Hohe Formgenauigkeit
  • Geringer Materialverlust
  • Hohe Produktivität

5.4 Biegen

Beim Biegen werden Bleche oder Drähte durch ein Moment in eine neue Form gebracht.
Verfahren:

  • Luftbiegen
  • Gesenkbiegen
  • Rollbiegen

Biegeteile sind in der Bau-, Möbel- und Fahrzeugindustrie weit verbreitet.


5.5 Drücken

Beim Drücken wird ein Werkstück auf einer Drehmaschine oder speziellen Drückmaschine über einen Dorn verformt. Dieses Verfahren eignet sich besonders für rotationssymmetrische Teile wie Lampenschirme, Gehäuse oder Töpfe.


6. Werkstoffe in der Umformtechnik

Die Auswahl des Werkstoffs ist entscheidend für den Erfolg des Umformprozesses.
Typische Werkstoffgruppen:

  • Stähle (z. B. Baustahl, Edelstahl, Werkzeugstahl)
  • Nichteisenmetalle (z. B. Aluminium, Kupfer, Titan)
  • Kunststoffe (thermoplastisch umformbar)
  • Moderne Verbundwerkstoffe

Wichtige Kriterien:

  • Umformbarkeit (Duktilität)
  • Fließspannung
  • Temperaturverhalten
  • Oberflächenbeschaffenheit

7. Maschinen und Anlagen in der Umformtechnik

7.1 Pressen

Pressen sind die zentralen Maschinen in der Umformtechnik. Es gibt:

  • Mechanische Pressen (Kurbel-, Exzenter- und Kniehebelpressen)
  • Hydraulische Pressen
  • Servopressen (mit präziser Steuerung durch Elektromotoren)

7.2 Walzwerke

Walzwerke bestehen aus mehreren Walzenpaaren und werden für Massenproduktion von Blechen, Drähten und Profilen eingesetzt.

7.3 Tiefziehpressen und Transferpressen

Automatisierte Presslinien ermöglichen hohe Stückzahlen mit gleichbleibender Qualität. Moderne Systeme verfügen über Roboterhandling und Sensorüberwachung.


8. Vorteile der Umformtechnik

  • Hohe Werkstoffausnutzung – kaum Abfall
  • Hervorragende mechanische Eigenschaften durch Kaltverfestigung oder Kornfeinung
  • Hohe Maßgenauigkeit und Oberflächenqualität
  • Wirtschaftlichkeit bei großen Stückzahlen
  • Recyclingfreundlich – Umformung benötigt keine Zusatzstoffe

9. Herausforderungen und Grenzen

Trotz der vielen Vorteile gibt es Herausforderungen:

  • Hohe Werkzeugkosten
  • Komplexe Prozesssteuerung
  • Materialrisse und Rückfederung bei Blechumformung
  • Begrenzte Umformbarkeit bei spröden Werkstoffen

Hier kommen moderne Simulationstechniken und KI-gestützte Prozessüberwachung ins Spiel, um Fehler frühzeitig zu erkennen.


10. Digitalisierung und Industrie 4.0

Die Digitalisierung verändert auch die Umformtechnik.
Neue Ansätze wie:

  • Digitale Zwillinge
  • Sensorik und Echtzeitüberwachung
  • KI-gestützte Prozessoptimierung
  • Additive Hybridfertigung

ermöglichen eine präzisere Steuerung, geringeren Ausschuss und kürzere Rüstzeiten.
Durch die Integration in das Internet of Things (IoT) wird die Produktion effizienter, nachhaltiger und transparenter.


11. Nachhaltigkeit in der Umformtechnik

Nachhaltigkeit gewinnt in der Fertigungsindustrie zunehmend an Bedeutung.
Die Umformtechnik leistet hierzu wichtige Beiträge:

  • Energieeffiziente Pressen
  • Recycling von Schmierstoffen und Kühlmitteln
  • Minimierung von Materialabfällen
  • Einsatz von Leichtmetallen zur CO₂-Reduktion

Unternehmen investieren in grüne Fertigungstechnologien, um Ressourcen zu schonen und gesetzliche Vorgaben zu erfüllen.


12. Anwendungen der Umformtechnik

Die Einsatzgebiete der Umformtechnik sind äußerst vielfältig:

  • Automobilindustrie – Karosserieteile, Antriebswellen, Felgen
  • Luft- und Raumfahrt – Strukturbauteile aus Titan oder Aluminium
  • Maschinenbau – Wellen, Zahnräder, Gehäuse
  • Elektrotechnik – Kontakte, Gehäuse, Leitungen
  • Medizintechnik – Implantate, Instrumente

Fast jedes industrielle Produkt enthält heute Bauteile, die durch Umformung hergestellt wurden.


13. Forschung und Innovation

Aktuelle Forschungsschwerpunkte:

  • Hochleistungswerkstoffe (z. B. UHSS – Ultra High Strength Steel)
  • Umformung bei extremen Temperaturen
  • Integration von KI in Prozesssteuerung
  • Simulation komplexer Umformvorgänge

Universitäten, Forschungseinrichtungen und Unternehmen arbeiten eng zusammen, um neue Verfahren zu entwickeln, die sowohl leistungsfähiger als auch nachhaltiger sind.


14. Zukunft der Umformtechnik

Die Zukunft liegt in der intelligenten, flexiblen und nachhaltigen Produktion.
Trends wie:

  • Modulare Umformanlagen
  • Energieeffiziente Servotechnologien
  • Datengetriebene Prozessoptimierung
  • Vernetzte Fertigungssysteme

werden die Branche prägen. Die Verbindung von klassischer Ingenieurskunst mit digitaler Intelligenz eröffnet enorme Potenziale für Effizienz und Innovation.


Fazit

Die Umformtechnik ist eine der ältesten und zugleich modernsten Technologien der industriellen Fertigung. Sie vereint Präzision, Effizienz und Nachhaltigkeit in einzigartiger Weise. Ob bei der Herstellung von Karosserieteilen, Flugzeugkomponenten oder medizinischen Instrumenten – überall spielt die Umformung eine entscheidende Rolle.

Durch Digitalisierung, Automatisierung und neue Werkstoffe wird die Umformtechnik auch in Zukunft ein Schlüsselbereich der modernen Industrie bleiben – flexibel, ressourcenschonend und unverzichtbar für die Produktion von morgen.